VVO plädiert für eine sachliche Debatte über die EuGH-Entscheidung

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Bild: Adobe/VVO

Die eingehende Analyse der EuGH-Entscheidung zum Rücktrittsrecht zeigt, dass die in gestrigen Aussendungen kolportierten Aussagen zum Teil wohl voreilig getroffen wurden und nicht dem entsprechen, was der EuGH entschieden hat.

Das betrifft insbesondere folgende Punkte:

Führt das Schriftformerfordernis für die Rücktrittserklärung zu einer fehlerhaften Belehrung?

Mit der Entscheidung ist klargestellt, dass Rücktrittsbelehrungen für Lebensversicherungsverträge aus europarechtlicher Sicht sowohl dann korrekt waren, wenn sie für den Rücktritt Schriftform verlangt haben, als auch dann, wenn sie die Form des Rücktritts nicht erwähnt haben. Der EuGH hält fest, dass auch eine allenfalls nach österreichischem Recht fehlerhafte Belehrung die Rücktrittsfrist ausgelöst hat, wenn sie dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen hat, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Denn dann wäre es, so der EuGH, unverhältnismäßig, es ihm zu ermöglichen sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen.

Der Ball liegt nun bei den österreichischen Gerichten, die nach dem EuGH jeden Einzelfall individuell zu prüfen haben. Sammelklagen mit Pauschalbeurteilungen sind damit wohl nicht mehr zulässig.

Zur Schriftform vertrauen wir darauf, dass der OGH im Sinne der Rechtssicherheit entscheidet. Denn nur eine schriftliche Rücktrittserklärung dient der Beweisbarkeit und der Feststellung der Identität. Würde der Versicherungsnehmer den Rücktritt mündlich erklären, hätte er ein grobes Beweisproblem. Verbraucherschützer empfehlen sogar, Rücktrittserklärungen eingeschrieben einzureichen. Damit fällt der wesentlichste behauptete Rücktrittsgrund weg!

Was weitere behauptete Belehrungsmängel angeht, hat der OGH zusätzlich mit einem erst kürzlich ergangenen Urteil einen weiteren Riegel vorgeschoben: Die Wiedergabe des Gesetzeswortlautes des damaligen § 165a VersVG war jedenfalls ausreichend. Es wird daher wohl – wenn überhaupt – nur wenige Belehrungsmängel geben, die in Einzelfällen zu einem nachträglichen Rücktritt berechtigen.

Auszahlung des Rückkaufswerts bei Rücktritt:

Mit der Entscheidung des EuGH hat sich erstmals ein Höchstgericht mit der entsprechenden Bestimmung in der im Anlassfall geltenden Fassung des Versicherungsvertragsgesetzes beschäftigt. Gemäß dieser Bestimmung muss ein Versicherer bei Rücktritt von einer Lebensversicherung den darauf entfallenden Rückkaufswert erstatten. Der EuGH sagt jedoch ausdrücklich, dass diese alte, nationale Regelung unionsrechtswidrig ist, weil dem Rücktrittsrecht damit die praktische Wirksamkeit des im Unionsrecht vorgesehenen Rücktrittsrechts entzogen wird. Nachdem jedoch EU-Richtlinien nicht unmittelbar anwendbar sind, sondern von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen, folgt daraus, dass die Regelung im Versicherungsvertragsgesetz zum Rückkaufswert anwendbar ist.

Der EuGH sagt in der Entscheidung nichts darüber, wie hoch der Betrag sein muss, der im Falle eines nachträglichen Rücktritts aufgrund einer fehlenden oder fehlerhaften Rücktrittsbelehrung zurückgezahlt werden muss.

Spekulationen mit nachträglichen Rücktritten, um eine höhere Rendite zu erzielen, lehnt der EuGH ausdrücklich ab.