33. Novelle der österreichischen Straßenverkehrsordnung – ein Überblick

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33. Novelle der österreichischen Straßenverkehrsordnung; Foto: Adobe Stock/VVO

Einleitung

Die mittlerweile 33. Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) wurde am 6. Juli 2022 vom Nationalrat beschlossen und tritt mit 1. Oktober 2022 in Kraft. Als Ziel der Novelle weist der Ministerialentwurf die „Förderung der sanften Mobilität sowie Steigerung der Verkehrssicherheit speziell für Kinder und Jugendliche“ aus. Als Hauptgesichtspunkte der Adaptierungen beschrieben ist die Förderung des Fahrradverkehrs und des Fußverkehrs (sanfte Mobilität). Es soll mehr Platz und Sicherheit für den Fußgänger- und Radverkehr geschaffen werden.

Fakt ist, dass die sogenannte sanfte Mobilität immer größeren Zuspruch erfährt. Insbesondere das Radverkehrsaufkommen in den Städten hat in den letzten Jahren wesentlich zugenommen. Ein aktuell weiteres Hoch ist sicher auch der Pandemie und Umweltschutzerwägungen zu verdanken.

Ob mit den Maßnahmen der umfassenden Novelle nun tatsächlich die Verkehrssicherheit im Allgemeinen und die Situation von ungeschützten Verkehrsteilnehmern verbessert werden kann, wird erst die Zukunft zeigen.

Historie und Zweck der Straßenverkehrsordnung

Die StVO ist erstmalig am 6. Juli 1960 erlassen worden. Insgesamt beinhaltet die StVO Regelungen über das Verhalten aller Verkehrsteilnehmer im öffentlichen Raum. Straßen mit öffentlichem Verkehr sollen von jedermann unter gleichen Bedingungen benützt werden. Auch wenn die StVO seit den 1960er Jahren mehrfach novelliert wurde, stammen einige Normen bzw. Bereiche noch immer aus einer Zeit, in der das Straßenbild ein doch wesentlich anderes war als das heutige. Die Radlobby geht daher sogar soweit, zu behaupten, die Normen würden den Autoverkehr gegenüber dem Fuß- und vor allem Radfahrverkehr, bevorteilen. Unstrittig ist, dass ursprüngliches Ziel der Regelungen der StVO bestimmt die Förderung des flüssigen Individualverkehrs und die Verkehrssicherheit gewesen ist und der Schutz sogenannter ungeschützter Verkehrsteilnehmer sowie Umweltschutzerwägungen nicht von Anbeginn im Vordergrund standen.

Nach allgemeinen Bestimmungen (Geltungsbereich, Begriffsbestimmungen) enthält das Gesetz Fahrregeln und Bestimmungen über bevorzugte Straßenbenützer (etwa Einsatzfahrzeuge, Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr, Kinder und ähnliches). Abschnitt IV enthält allgemeine Vorschriften zur Regelung und Sicherung des Verkehrs. Die StVO enthält daran anschließend allgemeine Vorschriften über den Fahrzeugverkehr und besondere Vorschriften für etwa den Verkehr mit Fahrrädern und Motorfahrrädern, den Fuhrwerksverkehr sowie den Fußgängerverkehr. Schließlich enthält das Gesetz in seinem
§ 99 auch diverse (Verwaltungs-)Strafbestimmungen.

Ausgewählte Änderungen im Überblick

Die hier thematisierte 33. StVO-Novelle ist wohl insgesamt als eine größere Novelle zu qualifizieren. Die neuen Regelungen sind vielfältig. Nachstehend werden einige prominente Änderungen im Überblick und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – also ausgewählt – näher beschrieben.

Mindest-Überholabstand von Radfahrern

Alle Lenker von Kraftfahrzeugen kennen die Herausforderung, die das Überholen bzw. das Überholen-Wollen von Radfahrern mit sich bringt. Schon bisher galt für diese Fälle, dass ein der Fahrgeschwindigkeit und der Verkehrssicherheit entsprechender Sicherheitsabstand zum zu überholenden Fahrzeug einzuhalten war. Definiert war bislang nicht konkret, wie groß der Sicherheitsabstand zu sein hat. Immer wieder wurde kritisiert, dass der aus Sicherheitsgründen erforderliche Abstand deshalb häufig nicht eingehalten wurde und insofern Unsicherheit bestünde.

Nun gilt, dass beim Überholen von Rad- und Rollerfahrern mit Kraftfahrzeugen der Seitenabstand im Ortsgebiet mindestens eineinhalb Meter und außerhalb des Ortsgebietes sogar zwei Meter betragen muss. Lediglich bei geringer Geschwindigkeit (maximal 30 km/h) ist es erlaubt, den vorgeschriebenen Seitenabstand beim Überholen der Verkehrssicherheit entsprechend zu reduzieren. Insofern weicht die österreichische Variante nun von der „Vorreiter-Regelung“ in Deutschland ab, die eine solche Einschränkung für Geschwindigkeiten unter 30 km/h nicht kennt.

Rechtsabbiegen bei Rot (Grünpfeil-Regelung)

„Rotes Licht gilt als Zeichen für Halt“ (§ 38 Abs 5 1. Satz StVO). Einer Einschränkung dieses wichtigen Grundsatzes über die Bedeutung von Lichtzeichen im Straßenverkehr folgen immer Diskussionen. So schon im Gefolge der 30. StVO-Novelle, als eingeführt wurde, dass für den Kraftfahrzeug-Verkehr (Ausnahme: schwere LKWs) zum Zweck wissenschaftlicher Untersuchungen mittels Verordnung das Rechtsabbiegen bei Rot unter gewissen Voraussetzungen erlaubt werden kann. Diese derzeit bestehende Möglichkeit entfällt mit der jüngsten Novelle.

Nun gilt, dass durch Verordnung Kreuzungen bestimmt werden können, an denen Fahrradfahrer trotz rotem Licht rechts abbiegen oder an Stellen, an denen kein Fahrzeugverkehr von rechts kreuzen kann (sogenannte T-Kreuzungen), geradeaus fahren dürfen. Voraussetzung für diese Erlaubnis ist aber, dass zuvor angehalten wird, eine Behinderung oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht zu erwarten ist und neben dem roten Ampellicht die neue Zusatztafel angebracht ist.

Nebeneinanderfahren am Rad

Das Fahren „im Verband“ erfährt eine nicht unwesentliche Änderung durch die Novelle. Bislang war außerhalb von Radwegen, Fahrrad- sowie Wohnstraßen und Begegnungszonen das „Gemeinsam Radeln nebeneinander“ nicht erlaubt. Nun soll – in Erwartung des sichereren Radfahrens mit Kindern und bei Gruppenausflügen (etwa im schulischen und touristischen Bereich) – das Nebeneinanderfahren im Verband auch auf anderen Fahrbahnen unter gewissen Voraussetzungen gestattet werden. Entscheidend ist, dass auf der Fahrbahn eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h gilt, niemand gefährdet wird und das Verkehrsaufkommen es zulässt sowie andere Verkehrsteilnehmer nicht am Überholen gehindert werden. Dezidiert ausgenommen ist das Nebeneinanderfahren auf Schienenstraßen sowie auf Vorrangstraßen und (geöffneten) Einbahnstraßen gegen die Fahrtrichtung. Aus Sicherheitserwägungen zum Schutz des Kindes ist das Nebeneinanderfahren von Eltern oder anderen Begleitpersonen neben einem Kind unter zwölf Jahren (ausgenommen auf Schienenstraßen) sogar immer gestattet.

Reißverschlussprinzip bei parallel einmündenden Radwegen

Für alle, die es nicht gleich parat haben: Unter dem Reißverschlussprinzip versteht man vereinfacht gesagt, das wechselweise Einordnen der Verkehrsteilnehmer bei Verringerung von Fahrstreifen. Die bislang in Geltung stehende Sondervorrangregel für den Fahrradverkehr beim Verlassen eines Radweges bzw. eines Rad- und Gehweges entfällt, wenn ein Radweg im Ortsgebiet parallel einmündet. Das sogenannte Reißverschlussprinzip ist durch die Novelle nun auch dann anzuwenden, wenn ein Radfahrstreifen endet und der Radfahrer die Fahrtrichtung beibehält (§ 11 Abs 5 StVO neu). Insofern erfolgt nun eine Gleichschaltung von Radwegen mit Radfahrstreifen, bei denen das Reißverschlussprinzip schon bisher zur Anwendung gelangt ist. Nicht zur Anwendung gelangt die Regelung, wenn ein Radweg mit einem Richtungsschwenk übergeht: Eine parallele Einmündung liegt nur dort vor, wo der Radweg unmittelbar oder mittels Verschwenk und Bodenmarkierung in einen Fahrstreifen übergeht.

Vorbeifahrverbot

Auch das Vorbeifahren an öffentlichen Verkehrsmitteln im Haltestellenbereich ist ein allen am öffentlichen Verkehr teilnehmenden Personen bekanntes Szenario, das durchaus geeignet ist, Gefahrensituationen zu schaffen und oftmals für „Gesprächsbedarf“ zwischen den beteiligten Verkehrsteilnehmern sorgt. Bisher war das Vorbeifahren grundsätzlich in Schrittgeschwindigkeit und in einem der Verkehrssicherheit entsprechenden seitlichen Abstand möglich.

Künftig wird es im Haltestellenbereich nicht mehr erlaubt sein, auf der für das Ein- und Aussteigen vorgesehenen Seite an einfahrenden oder dort stehenden Schienenfahrzeugen oder Omnibussen vorbeizufahren. Das Vorbeifahren ist nur mehr dann erlaubt, wenn alle Türen des öffentlichen Verkehrsmittels wieder geschlossen sind und keine Personen mehr „zulaufen“. Schrittgeschwindigkeit ist einzuhalten und es ist natürlich auch bei Fahrerlaubnis anzuhalten, wenn es die Sicherheit erfordert. Natürlich gilt das „Vorbeifahrverbot“ nicht nur für Personen- und Lastkraftwagen, sondern auch für alle einspurigen Fahrzeuge, wie Fahrräder und Roller.

Änderung bei den Parkbestimmungen – Verbot des Überragens

Insbesondere beim Schrägparken kommt es bekanntlich immer wieder dazu, dass Fahrzeugteile in Verkehrsflächen hineinragen. Insbesondere für Fußgänger und Fahrradfahrer kann das eine Gefährdung bedeuten, wenn ausgewichen werden muss. Das Verparken von Fußgänger- und Fahrradinfrastruktur ist in Städten insgesamt ein Thema und soll nun generell hintangehalten werden.

Das Hineinragen von Teilen des abgestellten Fahrzeuges in Verkehrsflächen, die dem Fußgänger- oder Fahrradverkehr vorbehalten sind, wird deshalb nun verboten bzw. erheblich eingeschränkt. Im Bereich des Fußgängerverkehrs gilt für das Hineinragen in lediglich geringfügigem Ausmaß sowie für kurze Ladetätigkeiten eine Ausnahme. Als Beispiele für Überragen in geringfügigem Ausmaß werden immer wieder Seitenspiegel und Stoßstange genannt. Jedenfalls ist das zulässige Ausmaß von der Gesamtbreite des betroffenen Gehsteigs abhängig (freizuhaltender Querschnitt von eineinhalb Metern). Auf Verkehrsflächen des Fußgängerverkehrs ist im selben Ausmaß auch das Aufstellen oder Anbringen von Gegenständen und Einbauten untersagt (Ausnahme: temporäres Aufstellen von Gerüsten oder Leitern zur Durchführung von Bau- oder Reparaturmaßnahmen).

In den Bereich der geänderten Parkbestimmungen fällt auch, dass das Parkpickerl nun auch für langzeitgemietete Fahrzeuge (KFZ-Mietverträge und sonstige Gebrauchsüberlassungsverträge) zur Verfügung steht und nicht mehr auf Zulassungsbesitzer und Leasingnehmer beschränkt ist.

Änderungen in den Fußverkehrsbestimmungen – Lichtzeichen

Jeder (Fußgänger und sonstiger Verkehrsteilnehmer) weiß, wie lange eine rote Ampelphase gefühlt dauert, wenn man das Gefühl hat, es gibt in der konkreten Situation keinen Verkehr, der dadurch geregelt wird. Glaubt man Erhebungen, finden sich aber vor allem Fußgänger oft in Situationen, wo ihr Vorankommen durch besonders lange Grünphasen für den Fahrzeugverkehr beeinträchtigt ist. Umgekehrt machen zu kurze Grünphasen oft das Queren in (großer) Eile notwendig.

Die Novelle sieht daher vor, dass Arm- und Lichtzeichen mit besonderer Berücksichtigung des Fußgängerverkehrs zu geben sind, also sohin fußgängerfreundlichere Ampelschaltungen mit schnelleren und längeren Grünphasen ermöglicht werden sollen. Nach den erläuternden Bemerkungen soll „zur Förderung des Fußgängerverkehrs die Fahrbahnquerung durch kurze Wartezeiten und eine zuzugestehende längere Zeitdauer erleichtert werden“.

Im Bereich der Fußverkehrsbestimmungen soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Gehsteigbenützungspflicht nur mehr besteht, wenn die Benützung des konkreten Gehsteiges oder Gehweges zumutbar ist. Das kann wohl bei gewissen Witterungsverhältnissen oder im Fall von Baustellen vereinzelt nicht der Fall sein.

Die Benützungspflicht für Ober- und Unterführungen wird abgeschafft.

Interessant ist auch die doch erhebliche Aufweichung der Benützungspflicht von Schutzwegen, die nun wohl nur mehr als „Angebot“ gewertet werden können: Auch wenn ein Schutzweg vorhanden oder nicht mehr als 25 m entfernt ist, kann woanders überquert werden, wenn es die Verkehrslage zweifellos zulässt und der Fahrzeugverkehr dadurch nicht behindert wird.

Einführung der Schulstraße

Manche bezeichnen die sich bietende Situation am Morgen von Werktagen, in unmittelbarer Umgebung von Schulgebäuden, wohl nicht ganz zu Unrecht als Chaos. Alle Arten von Verkehrsteilnehmern, mit unterschiedlichsten Bedürfnissen und meist durchaus unter zeitlichem Druck, prallen aufeinander. Hinzu kommt, dass der „verkehrsfreie“ Bereich vor vielen Schulgebäuden sehr oft nicht als großzügig bezeichnet werden kann.

Um das Verkehrsaufkommen zu mindern wird durch § 76d StVO neu, nun die Möglichkeit geschaffen, in unmittelbarer Umgebung von Schulgebäuden sogenannte „Schulstraßen“ durch Verordnung zu schaffen. Dort, wo eine Schulstraße eingerichtet ist, gelten spezielle Regeln: Das Gehen auf der Fahrbahn ist gestattet und Fahrzeugverkehr (mit Ausnahme von Fahrradverkehr, Kranken- und Schülertransporten, Fahrzeugen von Einsatzkräften und Müllabfuhr, sowie Anrainerverkehr) ist verboten. Aufrechterhalten werden soll also nur unbedingt notwendiger Verkehr. Dabei gilt in der Regel Schrittgeschwindigkeit.

Folgt man den Erläuterungen zum Ministerialentwurf soll durch die geschaffene Möglichkeit die Gefahren- und Stausituation in Folge eines erhöhten KFZ-Aufkommens, zu den einschlägigen Zeiten im Nahebereich von Schulgebäuden, insgesamt vermindert und ein geordnetes und sicheres Gehen zum Schulgebäude ermöglicht werden.